JA WIE?
„Unser Leben haben wir in den vergangenen 15 Jahre hier vertan“, stellt Sadik Kürek voller Verzweiflung fest, als er die Aufforderung zur
„freiwilligen Rückkehr“ in Händen hält. Er meint sich selbst und seine Frau Lütfiye, die ihre „beste Lebenszeit im Umkreis von 30 Kilometern verlebt“ haben. Dann fügt der 44-Jährige hinzu: „Aber das Leben der Kinder hat doch keine Chance dort!“ Die Freiheit in der Türkei sei begrenzt gegenüber dem „offenen Verhalten, wie die Kinder es von hier gewohnt sind.“
 
Die jüngsten Beiden, Zelhia und Abdullah, sind 1996
und 1997 in Weinheim beziehungsweise Bensheim, wo die Familie lebt, geboren worden. Die älteren Mädchen, Dilek und Esra, die in Bensheim die Real- und die Hauptschule mit guten Erfolgen besuchen, „sind schon heimatlos geworden.“
 
Aber mit der Ausbildung, die Esra derzeit anstrebt, „gäbe es wenigstens eine Hoffnung“, tröstet sich der Vater.
 
„Sie haben sich doch hier eingelebt“ und der Anwalt der Familie, Ludwig Müller-Volk, bestätigt dies: „Insbesondere die Kinder sind in das soziale Leben ... integriert.“ In Folge dessen beurteilt Müller-Volk die Situation der Kinder realistisch, wenn er fest stellt, dass ihnen „der türkisch-kurdische Lebensbereich völlig fremd“ ist und fort fährt: Eine „erzwungene Rückkehr wäre eine außerordentliche Härte.“ Anfang August 1991 war Sadik aus seinem kleinen Dorf im Südosten der Türkei im Kreis Araban geflohen.
 
Nachdem er sich geweigert hatte, Dorfschützer zu werden, war er unter Druck geraten. Mehrmals hatte man ihn fest genommen. Er war geschlagen und mit dem Tode bedroht worden. Wenige Tage nach seiner Einreise hatte er sodann den Asylantrag gestellt. Zehn Jahre waren dann vergangen, bis über den Widerspruch gegen die erste Ablehnung entschieden wurde, bis Dezember 2003.
Am 14. April 2004 wurde Klage gegen diese Ablehnung eingereicht und im Oktober eine Eingabe beim Petitionsausschuss des Hessischen Landtages.
 
Familie Kürek (Foto: Friedrich Windolf)
 
 
Nun hält Sadik Kürek den ablehnenden Bescheid des Petitionsausschusses in Händen und fragt nur noch, ob denn „jetzt wirklich alles im Chaos enden soll?“ Während des Durchlaufens ihres Asylverfahrens hat sich Familie Kürek in unsere Gesellschaft „völlig eingegliedert“, bestätigt der Frankfurter Anwalt.
Fakt ist außerdem, dass die Deutschen Behörden und Gerichte „schön langsam gearbeitet“ haben, so dass eigentlich eine „Rückkehr nicht zumutbar“ sei. Natürlich, wirft der Jurist ein, „könnte man argumentieren: wenn ihr so lange braucht, über ein Asyl zu entscheiden, dass die Familie ihren Lebensmittelpunkt hier gefunden und sich eingerichtet hat. Dann müsst ihr auch die Konsequenzen tragen. Das hieße die Familie unabhängig vom Ergebnis des Asylverfahrens hier zu belassen.“ Allein, das wäre eine „moralische Argumentation und keine, die juristisch durchfechtbar ist.“
 
Doch die Kinder sind beliebt in der Schule, was Lehrer wie Mitschüler in Briefen zum Ausdruck bringen. Sadik
und Lütfiye arbeiten und ihre Arbeitgeber sind sehr zufrieden mit ihnen. Der Schulleiter sowie alle Klassenlehrer der vier Geschwister, die Klassenkameraden und viele Familien in der Umgebung haben Stellung für Familie Kürek bezogen. Sie lieferten bei Pascal Neuheisel, der als Sozialarbeiter der Geschwister-Scholl-Schule ausnahmsweise als „Sammelstelle“ fungiert, einen dicken Stapel Briefe ab. Zusammen mit den Arbeitszeugnissen des Ehepaars samt
Polizeilichem Führungszeugnis sollen diese „Nachweise der vollzogenen Integration“ der Härtefallkommission vorgelegt werden. In der Einberufung dieser Stelle durch Hessische Landtagsabgeordnete sieht Sadik Kürek die letzte Hoffnung für seine Familie und setzt resignierend hinzu: „Jetzt, wo ich mit meiner Kraft mein Leben bauen will, schickt man uns zurück in die Türkei“.
 
© Andrea Springer
„Rückkehr nicht zumutbar“
Härtefallkommission des Hessischen Landtags muss entscheiden